Ach Abraham

 

Über Kriegsopfer

 

Wissen deine Eltern, dass du hier bist? möchte man die junge Frau, die in Dortmund auf den ICE wartet, am liebsten fragen. Mit ihrem puppenhaften Gesicht und den grell geschminkten Lippen wirkt sie wie 16. Aber sie muss älter sein, denn sie trägt Uniform. Sie sei 19, erklärt sie und habe vor, langfristig bei der Bundeswehr zu bleiben: Einer muss es ja machen.

 

Was weiß diese junge Frau über den Krieg und das Handwerk des Tötens? Was wissen diejenigen, die Pazifismus für naiv halten, über die Konflikte, die sie dieser Frau zumuten? Was wird aus ihr, die gedrillt wird, still zu stehen, die Augen gerade aus, im Gleichschritt zu marschieren, sich ein- und unterzuordnen? Die lernt, durchs Gelände zu robben, auf Menschen zu schießen und sie im Nahkampf mit dem Bajonett kalt zu machen.

 

Ich erinnere mich an ein öffentliches Gelöbnis. Junge Männer kamen gut gelaunt in bunter Sommerkleidung an der Kaserne an. Noch schnell ein Kuss, eine flüchtige Umarmung, dann verschwanden sie lachend und winkend, um wenig später grau in grau im Gleichschritt an uns vorbeizumarschieren. Was mich entsetzte, begeisterte die Bräute, Geschwister und Eltern. Sie registrierten stolz die Verwandlung ihrer Angehörigen in Tötungsmaschinen.

 

Für den Krieg spricht, dass er mit mutlosen Angsthasen geführt werden kann. Der Soldat kommt mit Gehorsam aus. Frieden zu schaffen, braucht Mut, Empathie, Phantasie, Intelligenz, Geduld und Begeisterungsfähigkeit, mit einem Wort: Zivilcourage.

 

Schülerinnen und Schüler merken das, wenn sie Besuch vom Jugendoffizier bekommen. Der redet nicht gern über Mord und Totschlag, über Verstümmelte und Versehrte, sondern doziert lieber über militärische Ziele, Strategien und faszinierende Technik. Womöglich redet er über Werte, die verteidigt werden müssen. Dann preist er die Karrierechancen bei der Bundeswehr.

 

Alte Männer bekennen nun, da Kriegstüchtigkeit zum alternativlosen Staatsziel erklärt wird, geirrt zu haben, als sie in ihrer Jugend den Kriegsdienst verweigerten. Ein Lothar Gorris schrieb im Spiegel, er habe ein Leben mit eingebauter Friedensgarantie gelebt. Aber: Die Idee des ewigen Friedens, die sich so lange natürlich angefühlt hatte, erweist sich als Illusion. Auf diesem Niveau wirbt er geschichtsklitternd für die Neuauflage des alten Irrtums: Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Ich frage mich: Verbrachten Herr Gorris und ich unser Leben auf zwei verschiedenen Planeten? Ich wuchs im Kalten Krieg auf und erinnere mich an historische Momente, in denen es fast zum Einsatz von Atombomben kam. Von den Stellvertreterkriegen in Korea, Vietnam, Afghanistan Syrien und anderswo zu schweigen. Was wir erlebten, war bestenfalls ein Waffenstillstand. Vom ewigen Frieden keine Spur.

 

Die ARD-Mediathek bietet eine Chronik über die letzten vier Monate des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Sozusagen den Blick zurück nach vorn. So ruinös ist Krieg. Die Menschen hungern, sind zu hunderttausenden obdachlos. Mit toten Gesichtern berichten Frauen, wie sie von Russen vergewaltigt wurden, die nicht einmal vor Achtjährigen haltmachten. Vielleicht sprachen sie so leise, weil sie wussten, wie ihre Männer im Osten wüteten. Die Russen rechtfertigen ihre Grausamkeit als Rache für ihre von Deutschen geschändeten Frauen und Töchter. Das ist natürlich dummes Zeug. Im Krieg nimmt sich der Mann die Frau und macht mit ihr, was er will. Das gehört sich so. Frauen sollten das wissen, wenn sie für Krieg stimmen.

 

Der Führer tat so, als hätte er Wunderwaffen in der Hinterhand, tätschelte 15-Jährigen die Wangen und schickte sie als Volkssturm ins feindliche Feuer. Im Krieg laufen alte Männer zur Hochform auf und opfern ihre Söhne. Damals wie heute. Gedankenlos fragen Feuilletonisten dieser Tage, für welche Werte die Jugend bereit sein sollte zu sterben. Die Werte der Rüstungsindustrie steigen derweil ins Unermessliche. Wenn junge Männer ihr Leben opfern, sollte da die Rüstungsindustrie nicht wenigstens auf ihren Profit verzichten – fürs Vaterland?!

 

Übrigens gab ich vor den Gewissensprüfern zu, meine Freundin gegen Vergewaltiger im Park zu verteidigen und notfalls die Angreifer zu töten. Pazifisten verweigern nicht die Notwehr, sondern das Töten auf Befehl. Herr Gorris schreibt, er habe 1983 bei der großen Friedensdemo in Bonn hinten rechts gestanden. Da steht er noch.

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