Kriegssüchtige noch nicht kriegstüchtig

 

Über die Chancen, davon zu kommen

 

Die ARD-Mediathek bietet eine Dokumentation über den Alltag in Berlin vom 1. Januar bis zum 1. Mai 1945. Sozusagen den Blick zurück nach vorn. So ruinös ist Krieg. Die Menschen hungern, sind zu hunderttausenden obdachlos. Mit toten Gesichtern berichten Frauen, wie sie von Russen vergewaltigt wurden, die nicht einmal vor Achtjährigen haltmachten. Vielleicht sprachen sie so leise, weil sie wussten, wie ihre Männer im Osten wüteten. Die Russen verkleiden ihre Grausamkeit als Rache für ihre von Deutschen geschändeten Frauen und Töchter. Im Krieg nimmt sich der Mann die Frau und macht mit ihr, was er will. Das gehört sich so. Frauen sollten das wissen, wenn sie für Krieg stimmen.

 

Das deutsche Volk vertraut dem Führer. Der tut so, als habe er Wunderwaffen in der Hinterhand, tätschelt 15-Jährigen die Wangen und schickt sie als Volkssturm ins feindliche Feuer. Im Krieg laufen alte Männer zur Hochform auf und opfern ihre Söhne. Damals wie heute. Gedankenlos stellen Feuilletonisten dieser Tage die Frage, für welche Werte die Jugend zu sterben bereit wäre. Die Werte der Rüstungsindustrie steigen derweil ins Unermessliche. Wieso komme ich immer zu spät darauf? Schon bei Corona versäumte ich es, Aktien zu kaufen.

 

Warum gaben die Berliner nicht auf, obwohl große Teile ihrer Stadt in Trümmern lagen? Propagandaminister Goebbels weiß es: die Deutschen verteidigten ihre Freiheit. Sie boten sich den Alliierten als Bündnispartner an, als Bollwerk gegen den Bolschewismus. Vielleicht hätten sie das sogar geschafft. Hätten sie nur nicht die Vernichtung der europäischen Juden auf dem Kerbholz. Mit dieser Untat verabschiedete sich das Volk der Dichter und Denker auf Dauer aus dem Kreis der zivilisierten Völker. Es dauerte dann nicht mal zehn Jahre, da wurden die deutschen Kriegsexperten beim Aufbau der NATO gebraucht.

 

Mit gemischten Gefühlen sehe ich die Bilder vom Sturm auf Berlin. Als guter Deutscher halte ich zu den Alliierten. Ich drücke der Roten Armee die Daumen und denke bei all den Granaten, die wahllos in den Himmel geballert werden, dass Krieg billiger sein könnte, wenn effektiver und disziplinierter getötet würde. Rheinmetall und den anderen deutschen Waffenschmieden (danke, dass Ihr für das Vaterland auf Profit verzichtet) kann es recht sein.

 

Was lernen wir daraus? Wenn die Kriegssüchtigen kriegstüchtig sind, ist es zu spät. Den Krieg verhindern kann man nur vor dem Ausbruch des Krieges. Und fliehen kann man nur, solange nicht gekämpft wird.

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