In einem Topf mit Olaf Müller

 

Über Pazifismus. Erster Teil

 

In der ZEIT begründet der Schriftsteller Serhij Zhadan, warum er die Ukraine als Soldat verteidigt. Um seinen Wechsel vom Schreibtisch in den Schützengraben machte er zuvor reichlich Gedöns. Er trägt zwar Uniform, dient aber in einer Propaganda-Einheit der Armee. Da könne er seine Fähigkeit am besten einbringen. Anscheinend hält er sich für zu wichtig, um im Krieg geopfert zu werden.

Der Schriftsteller Artur Weigandt bildet bei der Bundeswehr ukrainische Soldaten aus. Der „Deutsche mit post-sowjetischer Biografie" beschreibt sich als Putins Opfer. Er kennt Menschen, die „gefallen“ sind, wie das Sterben an der Front beschönigend genannt wird. Er habe Angst gehabt, „von der Militärmaschine gefressen zu werden.“ Allzu nahe wagte er sich nicht an sie heran. Wenn es darauf ankäme, sei er aber bereit, zur Waffe zu greifen, denn ein Opfer müsse sich wehren.

Beide befürworten den Krieg, verzichten jedoch auf den Fronteinsatz. Um den werden auch meine Altersgenossen herumkommen, die jetzt ihre Kriegsdienstverweigerung widerrufen. Ihre lebenslange Naivität ist den Martensteins und Campinos peinlich. Sie erinnern sich an ihre Hilflosigkeit, mit der sie versuchten, den Gewissensprüfern der Bundeswehr zu erklären, warum sie den Angreifer, der ihre Freundin bedrohte, nicht erschießen würden.

 

Die Frage, was sie täten, wenn sie nachts im Park überfallen würden und ihre Freundin nur durch einen tödlichen Schuss retten könnten, war eine Finte. Eine andere Antwort als die, den Angreifer zu töten, war nicht möglich. Die Prüfer schlossen daraus: wenn es hart auf hart kommt, tötest du, so wie alle anderen auch. Du bist nicht besser als die jungen Männer, die Soldat werden. Mit diesem Vorwurf können Pazifisten leben. Sie beanspruchen nicht, die besseren Menschen zu sein. Sie verweigern nicht das Töten in Notwehr, sondern das Töten im Krieg.

„Soldaten sind Mörder“, stellte Kurt Tucholsky vor rund 100 Jahren fest. Ihm ging nicht um juristische Korrektheit, sondern um ein moralisches Urteil. Olaf Müller, Philosoph in Berlin, den die ZEIT in einem Interview zum „Vordenker des Pazifismus in Deutschland“ befördert, würde Soldaten nie als Mörder bezeichnen. Die Soldaten, die er während seines Grundwehrdienstes kennenlernte, waren „normale Menschen, fast immer mit dem Herz auf dem rechten Fleck.“

 

Dagegen ist schwer etwas einzuwenden. Aber wie werden normale Männer zu „Maschinen“, die auf Befehl töten? Das lernt die junge Frau gerade, die in Dortmund auf den ICE wartet. Mit ihrem puppenhaften Gesicht und den grell geschminkten Lippen wirkt sie wie 16. Aber sie muss älter sein, denn sie trägt Uniform. Sie sei 19 und habe vor, langfristig bei der Bundeswehr zu bleiben, erklärt sie: „Einer muss es ja machen.“


Ich erinnere mich an ein öffentliches Gelöbnis, an junge Leute, die gut gelaunt in bunter Sommerkleidung an der Kaserne ankamen. Noch schnell ein Kuss, eine flüchtige Umarmung, dann verschwanden die jungen Männer lachend und winkend, um wenig später grau in grau im Gleichschritt an uns vorbeizumarschieren. Was mich entsetzte, begeisterte die Bräute, Geschwister und Eltern. Sie registrierten stolz das Verschmelzen ihres Freundes, ihres Mannes, ihres Bruders oder ihres Sohnes in dieser „Menschenmaschine“.

 

Der Soldat wird gedrillt. Er wird auseinander genommen und neu zusammengesetzt. Wie das geht, zeigte Stanley Kubrick 1987 in seinem Spielfilm „Full Metal Jacket“. Der Soldat tötet auf Befehl. Er gehorcht, ob sein Gewissen das zulässt oder nicht. Die Kameradschaft hilft ihm, den Verstoß gegen alle Regeln des Zivillebens auszuhalten.

Bellizisten interessieren sich nicht für die Realität des Krieges. Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Sie machen sich und uns vor, Männer und Frauen verteidigten aus freien Stücken ihr Land. Die das tun, sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Die meisten werden ins Heer gepresst, unter Androhung von Gefängnis. Desertion wird bestraft. In jedem Land der Erde.

Gegen Ende des Interviews meinen die ZEIT-Reporter, den Pazifismus erledigt zu haben: „In der Ukraine wurde vor kurzem die Schwelle von einer Millionen Toten und Schwerverletzten auf beiden Seiten überschritten. Wenn man so will, sind das eine Millionen Belege dafür, dass Pazifismus eine vergebliche Hoffnung ist, ein schöner Traum.“ Dazu fällt Olaf Müller nichts ein.

Aber entlarvt diese Zahl nicht die Krieger als Traumtänzer? Eine Millionen Tote sind doch Beweis genug, dass Krieg keine Option ist. Man stelle sich vor, ein pazifistischer Think Tank hätte ein Konzept vorgestellt, mit dem die russische Aggression gestoppt werden könnte. Das würde allerdings innerhalb von zwei Jahren eine Millionen Tote fordern. Sie wären chancenlos, würden sich zum Gespött der Öffentlichkeit machen. Man würde sie für verrückt halten.

Militärs dagegen müssen sich nicht rechtfertigen. Tod und Verwüstung sind eingepreist. Bellizisten sprechen nicht darüber, wie viele Opfer ihre Strategien fordern.

Olaf Müller will nicht mit Sarah Wagenknecht in einen Topf geworfen werden. Ihre Verurteilung Putins sei nicht echt. Mich stört ihre nationalistische Haltung. Pazifisten denken und handeln internationalistisch. Deshalb halte ich es für falsch, dass die Friedensbewegung unter der ukrainischen Flagge segelt. Sie sollte sich nicht vorbehaltlos mit dem ukrainischen Staat gemein machen. Im Krieg kämpfen in der Regel nicht die Guten gegen die Bösen. In Kriegen geht es um Bodenschätze, strategische Ziele, Macht, Nationalismus, Konkurrenz.

Der Autor Ole Nymoen betont, ebenfalls in der ZEIT, die Interessen der Bundesregierung seien nicht unbedingt die Interessen aller Deutschen. Eine Nation vereint Kriegsgewinnler und Kriegsversehrte, Villenbewohner und Obdachlose, Milliardäre und Mindestlöhner. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung lebe lieber unter fremder Herrschaft als im Kampf für Ziele zu sterben, die nicht die ihren sind, erklärt der 26-Jährige: „Ich für Deutschland kämpfen? Never.“

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