Ein Buch über Parkinson. Wieder gelesen.
Vor etwas mehr als sechs Jahren beendete ein Psychiater meine vier Jahre andauernde Ungewissheit. Bis dahin hatten mich viele Experten wegen unterschiedlicher Beschwerden untersucht. Dieser Arzt sah mich nur kurz an, dann stand fest, ich leide an Morbus Parkinson.
So wie mir geht es anscheinend den meisten Erkrankten. Jahrelang bleibt die gemeinsame Ursache der Störungen verborgen. Im ersten Moment kann die Diagnose tröstlich wirken: „Da stirbst du nicht dran.“ Genauso heißt der Erfahrungsbericht des niederländischen Journalisten Henk Blanken.
Was wie ein Trost aussieht, enthält im Kern das Bedrückende der Krankheit: mit dem Wissen um ihre Unheilbarkeit leben zu müssen. Parkinson-Patienten verlieren die Kontrolle über ihre Gliedmaßen, oft entwickelt sich eine Demenz. In jedem Fall zerstört die Krankheit die Fähigkeit zu kommunizieren. Kurz gesagt: mit dem unaufhaltsamen Verfall des Körpers wächst das Gefühl der Entwürdigung.
Auf dem dunklen Umschlag sieht mich das helle, maskenhafte Gesicht des Autoren an. An seinen Händen erkenne ich, dass er die Arme vor dem Körper verschränkt. Wie der Blick, sagt der Körper: „Rührt mich nicht an. Ich kann nicht aus meiner Haut heraus.“ Aber da steht: „Was Parkinson mir gibt“. „Den Rest“, denke ich und drehe das Buch um.
Auf dem Rückumschlag dichtet der Patmos Verlag weiter: „Parkinson gibt mir mehr, als es mir nimmt. Stundenlang im Garten sitzen und die Wolken am Himmel beobachten zum Beispiel, dafür hatte ich vor der Diagnose keine Zeit.“
Ich kaufe das Buch. Und stelle schnell fest, der gutherzige Ton der Verlagswerbung stimmt nicht mit der Haltung des Autoren überein. Hier schreibt ein Mann, der auch sich selbst gegenüber Journalist bleibt. Immer nah dran, zugleich distanziert. Unsentimental.
Kurz nachdem er seine Diagnose erhalten hat, besucht Henk Blanken einen Bekannten, der schon länger an der Krankheit leidet. Jetzt sitzt er diesem Bekannten gegenüber und erschrickt, als er erkennt, wie er einmal enden wird: im Rollstuhl. Die Chance, dement zu werden, liege bei 50 Prozent. „Kein Grund, sich den Kopf zu zerbrechen“, rät ein Freund, der wissen will, ob er gut eingestellt sei und die Krankheit im Griff habe.
In solchen Momenten muss der Erkrankte seinen Mitmenschen Mut machen. Sie suchen nach Auswegen, sie vertrauen auf die Medizin, sie erteilen Ratschläge („du brauchst Bewegung, mache Yoga, ernähre dich ayurvedisch“).
Sie haben recht. Der Kranke kann etwas für sich tun. Aber sie müssen einsehen, die Krankheit lässt sich nicht beherrschen. Wenn sie sich verschlimmert, liegt das nicht an zu wenig Yoga.
Angehörige und Freunde halten am wenigsten aus, das es unausweichlich schlechter wird. „Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, ich gewöhne mich an den Gedanken“, erklärt Henk Balken mit dem Pragmatismus des Patienten, der sein Schicksal angenommen hat.
Er vollzieht den Bruch mit dem immer noch vorherrschenden Prinzip der Moderne, demzufolge jeder es in der Hand hat, sein Schicksal zu gestalten in einer Welt, die sich ständig zum Besseren entwickelt.
Der Kranke macht sich als erster bewusst, dass es nicht wieder gut wird. Er spürt die Verhaltensänderungen seiner nächsten Menschen. Für sie wird er zum „Fall“. Er ist nicht mehr selbstverständlich Teil des Freundeskreises, sondern jemand, um den man sich kümmern muss. Wer will sich schon kümmern? Wer will anderen zur Last fallen? So wird der Rückzug zur Möglichkeit, bei sich zu bleiben.
Detailliert schildert der Reporter, wie einem Freund ein Chip ins Gehirn gepflanzt wird. Die Mediziner versprechen sich viel von dieser Tiefenstimulation. Aber auch sie hält die Entwicklung im besten Fall nur um wenige Jahre auf.
Was wird aus einem Journalisten, dem die Worte abhanden kommen? Henk Balken kämpft um seine Arbeitsfähigkeit. Schließlich verlässt er seine Redaktion, die Wortfindungsschwierigkeiten nehmen überhand. Ich lese seine Geschichte mit Anteilnahme. Erkenne mich in manchen Situationen. Kürzer treten, Stress vermeiden, riet mir der Spiegelredakteur Stefan Berg. Für ihn ist das sicher leichter als für mich. Ich arbeite frei und muss mich auf einem umkämpften Markt behaupten.
Henk Blanken fürchtet nichts wie die Demenz. Er will wissen, unter welchen Umständen ihm sein Arzt helfen würde, das Leben zu beenden. In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe erlaubt.
Doch so einfach ist es weder für die Ärzte, noch für die Patienten, die todbringende Spritze zur Hilfe zu nehmen. „Herr in Himmel“, sagt der Journalist, „solange ich noch lesen kann, bin ich sogar bereit, eine Windel zu tragen.“ Und so lange das so ist, wird sich kein Arzt finden, der ihn erlösen würde. Wenn er dement wäre, spräche die fehlende Zurechnungsfähigkeit dagegen.
Die Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, nimmt einem also niemand ab. Und das ist gut so, denke ich.
Er habe sich zu viel um das gekümmert, was noch alles kommen könnte, sagt Henk Blanken schließlich. So sehr, dass ihn die Angst beherrscht. „Ich habe Angst davor,
ängstlich zu werden.“ Dann will er noch mal etwas wagen.
Sozusagen in Würde den Verlust der Würde registrieren und hinnehmen. Er investiert in die Zukunft, indem er sich einen Hut zulegt. „Ich bin ein Mann mit einem Hut.“ Seltsam. Seit drei Jahren
trage ich auch einen Hut. Der macht was her.
Warten wir ab, was noch kommt.